Kommentar
09:06 Uhr, 16.02.2025

Exklusiv: Die Digitalstrategie der Boerse Stuttgart Group

In Deutschland hat sich die Boerse Stuttgart Group bereits als führender Player in Sachen Krypto-Infrastruktur etabliert. Mit dem Erhalt der MiCAR-Lizenz ertönte nun der Startschuss für eine europäische Expansion. Über die Strategie sowie Geschichte und Zukunft des Unternehmens sprachen wir mit Chief Digital Officer Ulli Spankowski.

Dieser Beitrag erschien im DACH Insider Ausgabe 12 am 16.02.2025. Der DACH Insider ist das Insider-Journal für die deutschsprachige Digital Assets Industrie. Jeden zweiten Sonntag liefern wir exklusive Analysen und Hintergrundberichte aus dem DACH-Raum. Schau dir hier die komplette Ausgabe an.

Die Boerse Stuttgart Group betreibt vermutlich das größte Krypto-Geschäft unter den europäischen Börsenhäusern.

Was einst 2019 mit BISON – einer Krypto-Trading-App für Privatanleger – begann, hat sich seither zu einer umfassenden Infrastruktur-Plattform für...

  • Brokerage,
  • Exchange,
  • Custody
  • und Real-World Assets.

Zu ihren Kunden zählen führende Finanzinstitute wie die DZ Bank, die KfW und Intesa Sanpaolo, Italiens größte Bank.

Vor wenigen Wochen sicherte sich die Börsengruppe als erste deutsche Institution eine MiCAR-Lizenz – und damit das offizielle Go für ihre europäische Expansion. Doch was bedeutet das konkret für ihre Digitalstrategie? Wie stehen europäische Banken und Institutionen derzeit zu Krypto und Tokenisierung? Und mit welchem Plan will die Boerse Stuttgart ihre Position in einem zunehmend wettbewerbsintensiven Marktumfeld behaupten?

Diese und viele weitere Fragen diskutierten wir mit Ulli Spankowski – dem Gründer und CEO von BISON, Chief Digital Officer der Boerse Stuttgart Group und Managing Director bei Boerse Stuttgart Digital.


Interview mit Dr. Ulli Spankowski

Das Digitalgeschäft im Überblick

Innerhalb der Boerse Stuttgart Group trägst du gleich mehrere Hüte: Du bist nicht nur Gründer und CEO von BISON, sondern auch Chief Digital Officer der Boerse Stuttgart Group sowie Managing Director bei Boerse Stuttgart Digital. Bei all diesen Themen: Womit beschäftigst du dich aktuell am meisten?

Tatsächlich ist jeder Tag anders. Aufgrund meiner Rolle im erweiterten Vorstand der Boerse Stuttgart Group und als Chief Digital Officer entfällt der Großteil – also knapp 80% – meiner Arbeit auf das Digitalgeschäft. Im Retail-Bereich bedeutet das beispielsweise den Ausbau neuer Features bei BISON. Auf der institutionellen Seite führe ich unter anderem Gespräche mit Banken und Institutionen, die Krypto-Infrastruktur in ihr Geschäft integrieren wollen. Da sehen wir derzeit richtig viel Traction und führen wöchentlich gleich mehrere Gespräche mit Tier-1 Banken aus Europa.

Du hast es bereits angesprochen: Zum Digitalgeschäft gehören viele unterschiedliche Geschäftsfelder. Bevor wir tiefer in die einzelnen Themen und Strategien eintauchen: Kannst du uns bitte einmal einen Überblick über die einzelnen Säulen eures Digitalgeschäfts geben?

Wenn wir high-level auf unser Digitalgeschäft schauen, gibt es bei uns drei zentrale Geschäftsfelder:

  1. BISON, unsere Retail-App: Einfaches und sicheres Handeln von Kryptowährungen für Privatpersonen
  2. Unsere Infrastrukturlösungen Boerse Stuttgart Digital Brokerage, Exchange & Custody für Banken, Broker und Asset Manager
  3. Sowie BX Digital, unser Schweizer Handelsplatz mit Fokus auf Real-World Assets

Die einzelnen Zweige entstanden schrittweise – jede neue Lösung entwickelte sich aus den Anforderungen und Erkenntnissen der vorherigen.

Unser erstes Produkt war BISON, mit der wir Privatpersonen den einfachen und sicheren Zugang zum Kryptohandel ermöglicht haben. Als nächstes expandierten wir in die Kryptoverwahrung und gründeten mit der Boerse Stuttgart Digital Custody unsere eigene Verwahrgesellschaft. Der Erfolg von BISON hat uns dann dazu bewegt, eine eigene Börse für Digital Assets aufzubauen, über die wir den Orderflow von BISON abwickeln konnten – das war die Geburtsstunde von Boerse Stuttgart Digital.

Als wir die Retail-Seite abgedeckt hatten, richteten wir uns mit unseren Brokerage, Exchange und Custody-Lösungen vermehrt an institutionelle Kunden, die entweder selber den Zugang zu Krypto suchten, oder ihren Kunden den Zugang zu Krypto bieten wollten. Parallel haben wir uns auch dem Thema Tokenisierung gewidmet und BX Digital aufgebaut, über die Real-World Assets gehandelt werden können.

Rückblickend wirkt eure Entwicklung sehr strategisch: Ihr seid mit dem Handel gestartet und habt darauf aufbauend komplementäre Produkte entwickelt, die ihr schließlich auch anderen Unternehmen angeboten habt. Inwiefern war dieser Weg von euch bei der Boerse Stuttgart “geplant”?

Diese Reise genau so zu planen ist unmöglich. Man weiß nie, wann sich beispielsweise regulatorische Rahmenbedingungen ändern und wie sich das auf den Markt auswirkt. Der Wahlsieg Trumps und die Dynamik, die er innerhalb weniger Monate ausgelöst hat, sind dafür aktuell das beste Beispiel.

Es ging uns vielmehr darum, die Augen offen zu halten, Opportunitäten zu erkennen und sie zu nutzen, wenn der Zeitpunkt passt.

Unsere Expansion in den Bereich Custody war zum Beispiel eher der Tatsache geschuldet, dass wir damals keinen passenden Custody-Partner gefunden haben, dem wir die Assets unserer Kunden anvertrauen wollten.

Dass wir unsere gesamte Infrastruktur letztlich auch anderen zur Verfügung stellen, ist hingegen ein strategischer Schritt, den wir beim Aufbau neuer Lösungen stets im Hinterkopf haben. Das ist ein Teil unserer DNA.

Strategische Positionierung im Markt

Seitdem hat sich das Marktumfeld ja deutlich weiterentwickelt, sodass Themen wie Custody mittlerweile sehr umkämpft sind. Wie differenziert ihr euch da von anderen Anbietern?

Unser zentraler USP ist, dass wir die komplette Wertschöpfungskette im Kryptobereich anbieten – modular und vollständig reguliert. Kunden können flexibel entscheiden, welche Teile der Infrastruktur – Trading, Custody oder sogar das komplette Paket – sie in ihre bestehenden Systeme integrieren, ohne den Anbieter wechseln zu müssen.

Im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern, die ihre Lizenzen anfangs in weniger streng regulierten Regionen wie Osteuropa, Malta oder dem Baltikum erhalten haben, haben wir unser Geschäft von Anfang an in Deutschland unter der Aufsicht der BaFin aufgebaut und dabei die Risikomanagement- sowie Compliance-Prozesse einer 160 Jahre alten Wertpapierbörse übernommen. Besonders für institutionelle Player wie Banken und Asset Manager ist das ein entscheidender Vorteil.

Welche Unternehmen und Institutionen setzen bereits auf eure Infrastruktur?

Mit der DZ Bank setzt die zweitgrößte Bankengruppe Deutschlands auf unsere Brokerage und Custody Lösungen. In der aktuell stattfindenden Pilotphase bieten ausgewählte Volksbanken ihren Kunden den Handel und die Verwahrung von Krypto-Assets an, wobei der breite Roll-out ab Mitte 2025 auf alle Genossenschaftsbanken geplant ist.

Italiens größte Bank Intesa Sanpaolo hat ihre erste Bitcoin-Transaktion über die institutionelle Handelsinfrastruktur von Boerse Stuttgart Digital im Januar 2025 durchgeführt.

Auch für Deutschlands größte Förderbank KfW übernehmen wir die Verwahrung – unter anderem für ihren tokenisierten Bond, den sie im letzten Sommer emittiert hat.

Nachfrage der Banken

Wie sieht es mit der generellen Dynamik in den letzten zwölf Monaten aus? Habt ihr eine wachsende Nachfrage von Banken nach euren Lösungen bemerkt?

Definitiv. Wie schon dargelegt, führen wir spannende Gespräche mit großen Finanzinstituten. Insbesondere die US-Wahl und die Haltung der neuen US-Administration haben die Wahrnehmung von Krypto bei europäischen Banken und Institutionen stark beeinflusst.

Gleichzeitig sorgt die MiCA-Regulierung innerhalb der EU für klare Rahmenbedingungen, was der Dynamik zusätzlichen Aufschwung verliehen hat. Zuvor fehlte es an Rechtssicherheit, weshalb viele Institute zögerten, in den Bereich einzusteigen.

Für welchen Teil der Infrastruktur ist die Nachfrage derzeit am größten?

Die Nachfrage erstreckt sich über alle Bereiche. Besonders im Retail-Segment erkennen viele derzeit, dass sie Kunden – und damit Umsatz – verlieren, wenn sie kein eigenes Krypto-Angebot schaffen. Durch ihre Business-Intelligence-Teams haben Banken und Finanzinstitute detaillierte Einblicke, wohin Kundengelder fließen. Sie können genau berechnen, wie viele Milliarden jährlich an Wettbewerber und Handelsplätze abwandern – für Produkte, die sie durch Kooperationen mit erfahrenen und zuverlässigen Infrastrukturpartnern, selbst anbieten könnten. Diese Erkenntnis erhöht den Druck, eigene Krypto-Lösungen zu entwickeln.

Auf der institutionellen Seite gibt es wiederum Player, die selbst aktiv handeln möchten. Auch die Verwahrung wird für viele immer relevanter – insbesondere, weil Tokenisierung ein größeres Thema wird.

Wenn ich es grob schätzen müsste, wollen etwa 80-90% der Institutionen entweder ein Krypto-Angebot für ihre Retail- oder institutionellen Kunden aufbauen, während die restlichen 10-20% an der Verwahrung für Tokenisierungs-Initiativen interessiert sind.

Tokenisierung: Status Quo & Ausblick

Ehrlicherweise überrascht mich der hohe Anteil von Tokenisierung als Haupttreiber. Trotz allen Hypes bleibt die wirkliche Traction bisher noch aus. Die meisten Initiativen schaffen es nicht, die Proof-of-Concept Phase zu verlassen. Wie blickst du darauf?

Tokenisierung ist ein Mid- bis Long-Term-Game. Kein großes Institut geht aktuell davon aus, dass in den nächsten zwölf Monaten Milliarden an Umsatz aus diesem Bereich generiert werden. Vielmehr handelt es sich um eine strategische Vorbereitung: Die Finanzmarktinfrastruktur verändert sich, und wer sich jetzt nicht mit Tokenisierung auseinandersetzt, läuft Gefahr, in einigen Jahren von neuen Marktstrukturen überrollt zu werden.

Aber auch die hohen Effizienzvorteile beim Clearing und Settlement spielen eine entscheidende Rolle, sodass immer mehr Institutionen damit experimentieren, Aktien, Anleihen und Fonds nicht mehr klassisch, sondern tokenisiert zu begeben.

Und was muss passieren, damit die Tokenisierung richtig Fahrt aufnimmt?

Eine der zentralen Herausforderungen bleibt der Sekundärmarkt. Viele tokenisierte Assets sind aktuell schwer handelbar, da es schlichtweg noch keine etablierten Marktplätze gibt. Der Aufbau solcher Märkte erfordert enorme Investitionen und braucht viel Zeit. Deshalb werden wir meiner Ansicht nach die ersten großen tokenisierten Asset-Handelsplätze nicht bei Immobilien oder Kunst sehen, sondern bei klassischen Wertpapieren, die künftig tokenisiert werden. Ein anderes Problem ist das Fehlen von “Onchain Cash”, also Blockchain-basierten Fiat-Währungen.

Was ist da deine Timeline? Wann werden wir mehr Traction auf dem Thema sehen?

Ich schätze in zwei bis drei Jahren. Ein großer Unlock wäre die Einführung eines digitalen Euros, da das Settlement so komplett digital mit “echtem Geld” erfolgen könnte. Bis die EZB das umsetzt, wird es jedoch voraussichtlich bis 2028 dauern.

In der Zwischenzeit werden wir vermutlich eine starke Bewegung hin zu Euro-Stablecoins beim Settlement sehen. Viele Player – wie etwa die DWS oder Societe Generale – arbeiten bereits an eigenen Stablecoin-Lösungen, um solche Initiativen voranzutreiben. Ob das nur ein Zwischenschritt oder bereits die endgültige Lösung sein wird, bleibt abzuwarten.

Wie wird die Wertschöpfungskette im Wertpapierhandel in fünf bis zehn Jahren aussehen? Welche Marktteilnehmer werden profitieren – und wer wird zu den Verlierern zählen?

Clearing und Settlement werden sich zunehmend auf die Blockchain verlagern. Der eigentliche Handel und die Preisfindung hingegen werden weitgehend offchain bleiben, da die bestehende Marktinfrastruktur mit Börsen, Brokern und Liquiditätsanbietern bereits äußerst effizient ist.

Profiteure werden diejenigen sein, die schnell agieren und sich frühzeitig positionieren. Das betrifft sowohl neue Marktteilnehmer als auch etablierte Finanzinstitute. Besonders Netzwerkeffekte werden eine entscheidende Rolle spielen – wer es schafft, eine große Anzahl von Marktteilnehmern auf seine Infrastruktur zu bringen, wird sich langfristig durchsetzen.

Bedroht sind hingegen diejenigen, die sich nicht bewegen. Ich sehe nicht, dass bestehende Clearing- und Settlement-Anbieter zwangsläufig automatisch verdrängt werden. Wer aber die technologische Transformation ignoriert oder zu spät handelt, läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Wettbewerber und Pläne für 2025

Unter den traditionellen Börsengruppen in Europa habt ihr das mit Abstand größte Krypto-Geschäft aufgebaut. Seht ihr euch mit eurer frühen Positionierung als Herausforderer der etablierten Marktführer?

Die eigentliche Frage ist: Wer sind unsere Wettbewerber? Sind es andere Börsen in Deutschland und Europa oder eher neue Wettbewerber aus Asien und den USA, die nicht aus dem traditionellen Börsenumfeld kommen? Das Wettbewerbsumfeld ist extrem heterogen.

Unabhängig davon liegt unser Fokus nicht darauf, uns an einzelnen Wettbewerbern zu messen, sondern darauf, unseren Kunden das beste Angebot zu machen – denn das ist der eigentliche Wachstumstreiber. Dieser Ansatz hat sich bewährt: 2024 stammen bereits 25% der Gesamtumsätze der Gruppe aus dem Digitalbereich – und das Wachstum hält an.

Auf welche Metriken optimiert ihr, um eure Marktposition in Zukunft zu sichern?

Das hängt stark vom jeweiligen Geschäftsbereich ab. In der Custody ist ”Assets under Management" eine der zentralen Metriken. Im Trading-Bereich stehen Handelsvolumen, Preisqualität und Spreads im Fokus. Besonders im institutionellen Geschäft sind extrem enge Spreads entscheidend. Wir bieten beispielsweise Zero Spreads für Bitcoin und Ethereum, sodass Kauf- und Verkaufskurse identisch sind. Zudem spielt die Fähigkeit, große Liquiditätspeaks in Sekunden zu verarbeiten, eine wesentliche Rolle.

Bei der Tokenisierung ist die Frage entscheidend: Auf welcher Infrastruktur setzen wir auf? Eine zu starke Bindung an ein bestimmtes Netzwerk könnte da langfristig zu einem Lock-in-Effekt führen und die Flexibilität stark einschränken. Daher bauen wir unsere Lösungen blockchain-agnostisch auf.

Letzte Frage: Mit Blick auf den Erhalt eurer MiCAR-Lizenz, ist die europäische Expansion nun euer großes Ziel für dieses Jahr?

Ja, definitiv. Zwar sind wir bereits in mehreren europäischen Ländern aktiv – darunter in Italien, Frankreich, Österreich und Spanien – aber unser Ziel ist es, unsere Position als führender Krypto-Infrastrukturanbieter in ganz Europa weiter auszubauen.

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