Mehr Strombedarf durch Rechenzentren
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Ein sprunghafter Anstieg der bei den Energieversorgern eingegangenen Anträge auf einen Anschluss deutet darauf hin, dass Technologieunternehmen den Bau neuer Rechenzentren in Europa planen.
Das Aufkommen neuer generativer KI-Modelle in China, die Berichten zufolge ressourceneffizienter sind, hat die Frage aufgeworfen, wie stark Technologieunternehmen in die KI-Infrastruktur investieren müssen. Wenn jedoch alle geplanten Rechenzentren gebaut werden, könnten sie laut Goldman Sachs Global Investment Research den Stromverbrauch in Europa insgesamt um etwa ein Drittel erhöhen.
Laut einem Bericht von Goldman Sachs Research konzentriert sich die KI-getriebene Entwicklung neuer Rechenzentren bisher vor allem auf die USA. Alberto Gandolfi, Leiter des paneuropäischen Versorgerteams von Goldman Sachs Research, glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Dynamik auf Europa übergreift. "Wir haben den Eindruck, dass die Big Techs damit begonnen haben, diese Anlagen in ihrem Heimatmarkt, den USA, zu entwickeln, der etwa 50 % ihrer Kundenbasis ausmacht. Europa – auf das etwa 25 % der Einnahmen der großen Technologieunternehmen entfallen – könnte als nächstes dran sein“, schreibt Gandolfi in dem Bericht.
Das Team von Gandolfi hat die bei den Stromnetzbetreibern in den wichtigsten europäischen Märkten eingegangenen Anträge für den Anschluss neuer Rechenzentren ausgewertet. Geht man von ähnlichen Entwicklungen im übrigen Europa aus, errechnen die Analysten von Goldman Sachs eine Pipeline von im Bau befindlichen Rechenzentren in Höhe von rund 170 Gigawatt (GW), was etwa einem Drittel des europäischen Spitzenstrombedarfs im Jahr 2024 entspricht.
Wenn all diese Rechenzentren schließlich gebaut werden, könnte der potenzielle Anstieg des Energiebedarfs zu Spitzenzeiten in den wichtigsten EU-Regionen bis zu 60 % betragen. In der Praxis geht das Team jedoch davon aus, dass nur 25 bis 50 % der geplanten Rechenzentren gebaut werden – diese Zahl ergibt sich aus der Fertigstellungsrate für Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien als Annäherungswert für eine angenommene Fertigstellungsrate für Rechenzentren. In diesem Szenario prognostiziert das Team, dass der Stromverbrauch in Europa in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren um 10 bis 15 % steigen könnte.
Wie viel Strom verbrauchen Rechenzentren?
Gegenwärtig verbraucht der globale Markt für Rechenzentren etwa 50 GW Strom, und nur ein Viertel davon entfällt auf Europa. Dieser Anteil wird aber wahrscheinlich noch erheblich steigen. „Wenn man bedenkt, dass die Anträge auf Neuanschlüsse für Rechenzentren in den Jahren 2020 bis 2022 fast bei null lagen, sind die jüngsten Entwicklungen ziemlich beeindruckend“, schreibt Gandolfi.
Abb. 1: Globaler Data-Center-Markt, 2023
Ein Viertel des gegenwärtigen Strombedarfs entfällt auf Europa. Dieser Anteil wird aber wahrscheinlich erheblich steigen. Die Analysten gehen von einem Zubau in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren von etwa 10 bis 15 % aus.
Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research
In Spanien, Deutschland, Italien und dem Vereinigten Königreich schätzt das Team, dass die Pipeline für Rechenzentren in den Jahren 2030 bis 2035 100 GW erreichen könnte. Gegenwärtig machen Rechenzentren etwas mehr als 2 % des Strombedarfs in Europa und den USA aus. Dieser Anteil wird jedoch wahrscheinlich steigen, da KI-Rechenzentren weit mehr Rechenleistung benötigen als herkömmliche Rechenzentren.
Europa gut positioniert für neue Rechenzentren
Bislang konzentrierte sich die Entwicklung von Rechenzentren stark auf die USA, wobei Nord-Virginia etwa die Hälfte der gesamten Installationen des Landes beherbergt. Reichlich Platz, billige Energie und ein schnelleres Genehmigungsverfahren machen die USA für Technologieunternehmen zu einem attraktiven Standort für den Bau dieser Einrichtungen.
Gandolfi ist jedoch der Ansicht, dass die großen US-Technologieunternehmen dieses Wissen wahrscheinlich auch anderswo einsetzen werden, nachdem sie auf ihrem Heimatmarkt gelernt haben, wie man diese Anlagen entwickelt. Europa, auf das ein Viertel der Einnahmen der großen Technologieunternehmen entfällt, ist ein natürlicher nächster Schritt.
Außerdem wird der Bauprozess wahrscheinlich schneller verlaufen, da die Technologieanbieter mit den Feinheiten des Baus von Rechenzentren vertraut sind. Ein US-amerikanischer Energieversorger gab an, dass die Verhandlungen zur Unterzeichnung eines Stromabnahmevertrags eines Hyperscalers im Rahmen eines PPA (Power Purchase Agreement) beispielsweise rund 18 Monate dauerten. "Wir vermuten, dass die Länge dieses Prozesses die Notwendigkeit für die großen Technologieunternehmen widerspiegelt, sich mit den Einzelheiten der Stromerzeugung vertraut zu machen. Infolgedessen ist ein PPA in Europa unserer Ansicht nach vor Ende 2025 möglich", schreibt Gandolfi in dem Bericht.
Abb. 2: Möglicher Zuwachs an Rechenzentren nach Regionen
Derzeit konzentrieren sich die europäischen Rechenzentren vor allem in den Regionen Frankfurt, London, Amsterdam, Paris und Dublin. Auf Rechenzentren entfallen derzeit etwa 4.450 Megawatt (MW), weitere 4.100 MW sind im Bau oder in der Planungsphase.
Quelle: Unternehmensdaten, Goldman Sachs Global Investment Research
Derzeit konzentrieren sich die europäischen Rechenzentren vor allem in den Regionen Frankfurt, London, Amsterdam, Paris und Dublin ("FLAP-D"). Auf Rechenzentren in diesen Regionen entfallen 4.450 Megawatt (MW), weitere 4.100 MW sind entweder im Bau oder in der Planungsphase.
Die nordischen Länder und Spanien, die über eine gute Landverfügbarkeit und reichlich grüne Energieressourcen verfügen, könnten in Zukunft mehr Investitionen in Rechenzentren anziehen, schreibt Gandolfi in dem Bericht. Er fügt jedoch hinzu, dass zu erwarten sei, "dass große Rechenzentren in der Nähe des Kundenstamms und in Volkswirtschaften mit einem großen Anteil der Dienstleistungsindustrie entwickelt werden", und nennt Deutschland und Großbritannien als Beispiele für Gegenden, die diese Kriterien erfüllen könnten.
Könnte sich die europäische Stromnachfrage erholen?
Der Stromverbrauch in Europa ist seit 15 Jahren stetig zurückgegangen. Seit 2008 haben drei große Ereignisse zu einer anhaltenden Schwächephase geführt: die globale Finanzkrise 2009, die Covid-Pandemie 2020 und die Energiekrise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022. Deutschland, das von der Energiekrise besonders hart getroffen wurde, verbraucht derzeit genauso viel Strom wie 1990 – dem Jahr der Wiedervereinigung.
Abb. 3: Entwicklung der deutschen Stromnachfrage
Die globale Finanzkrise 2009, die Covid-Pandemie 2020 und die Energiekrise nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine 2022 haben in Europa zu einer anhaltenden Schwächephase geführt. Deutschland, das von der Energiekrise besonders hart getroffen wurde, verbraucht derzeit genauso viel Strom wie 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung.
Quelle: AEGB, ENTSOE. Die gestrichelte Linie zeigt das Niveau der Stromnachfrage in den Jahren 1990 und 2023; die Stromnachfrage von 1990 wurde auf 100 Prozent umgerechnet.
Von 1991 bis 2008 wuchs die europäische Stromnachfrage mit einer Rate von BIP minus 0,6 %, was bedeutet, dass der Energieverbrauch nur dann steigt, wenn das reale BIP-Wachstum 0,6 Prozent übersteigt. Seit der globalen Finanzkrise hat sich diese Rate auf BIP minus 1,5 % erhöht, was bedeutet, dass der Energieverbrauch außer in Jahren mit sehr starkem Wirtschaftswachstum weniger wahrscheinlich steigt.
Die steigende Zahl der Anträge auf Anschluss an das europäische Stromnetz deutet jedoch darauf hin, dass die Stromnachfrage in den kommenden Jahren wieder ansteigen könnte.
Da der Bau von Rechenzentren mehrere Jahre dauern kann, rechnet das Team nicht damit, dass dieser Sektor vor 2027 zum Wachstumsmotor des europäischen Stromverbrauchs wird. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die Stromnachfrage auch in anderen Bereichen steigen wird. So sind beispielsweise die Anträge auf Anschluss an das spanische Stromnetz von vier GW im Jahr 2020 auf derzeit rund 65 GW gestiegen.
Dies könnte dazu beitragen, die Aussichten des angeschlagenen europäischen Versorgungssektors zu verbessern. Seit 15 Jahren werden die europäischen Versorger mit einem Abschlag gegenüber ihren US-Konkurrenten gehandelt. Diese Kluft vergrößerte sich im vergangenen Jahr, als der S&P 500 Utilities Index um rund 20 Prozent stieg, während der Wert der europäischen Versorger um rund 5 Prozent sank.
Die jüngsten Entwicklungen auf den europäischen Energiemärkten könnten jedoch dazu führen, dass sich die Aussichten der europäischen Versorger im Vergleich zu ihren amerikanischen Konkurrenten verbessern, so Gandolfi. "Wir sind der Meinung, dass eine Verbesserung der Erwartungen an die Stromnachfrage in Europa, eine verbesserte Kapitalallokation in erneuerbare Energien, die Schaffung eines liquiden PPA-Marktes in Europa und eine Bodenbildung bei den Energiepreisen eine relative Neubewertung der europäischen Versorger unterstützen würden."
Abb. 4: Prognostiziertes Wachstum der europäischen Stromnachfrage
Verbesserte Erwartungen an die Stromnachfrage in Europa, eine Verbesserung der Kapitalallokation in erneuerbare Energien, die Schaffung eines liquiden PPA-Marktes in Europa und eine Bodenbildung bei den Energiepreisen könnten eine relative Neubewertung der europäischen Versorger unterstützen.
Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research; alle Zahlen sind Schätzungen.
Dieser Artikel wird ausschließlich zu Informationszwecken zur Verfügung gestellt. Die in diesem Artikel enthaltenen Informationen stellen keine Empfehlung einer Goldman Sachs-Einheit für den Empfänger dar, und Goldman Sachs erteilt weder durch diesen Artikel noch für den Empfänger eine Finanz-, Wirtschafts-, Rechts-, Anlage-, Buchhaltungs- oder Steuerberatung. Weder Goldman Sachs noch eines seiner verbundenen Unternehmen gibt eine ausdrückliche oder stillschweigende Zusicherung oder Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der in diesem Artikel enthaltenen Aussagen oder Informationen, und jegliche Haftung (einschließlich in Bezug auf direkte, indirekte oder Folgeschäden) wird ausdrücklich abgelehnt.
Quelle: Dieser Beitrag erschien am 7. Februar 2025 auf www.goldmansachs.com unter dem Titel „Data centers could boost European power demand by 30%“ im Bereich Insights/Articles. Bitte beachte, dass die darin getroffenen Aussagen keine Anlageempfehlungen darstellen.
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